REICHSARCHIV BAND 34, VON SEITE  34 BIS 46

34 Die Angriffsvorbereitungen.

Um die Truppe nicht schon vor Beginn des Angriffs übermäßig anzustrengen und zu ermüden, wurden die Marschleistungen für den Vormarsch aus den Ruhequartieren in die Aufmarschräume verhältnis-mäßig niedrig angesetzt. Bei der 7. Armee hatten die Angriffsdivisionen ihre Aufmarschräume mit vier, bei der 1. mit fünf, bei der 3. mit zwei Nachtmärschen zu erreichen.

Einen breiten Raum in den Angriffsarbeiten nahm die Vorbereitung des Artillerie- und Minenwerfer-Aufmarsches ein. Sollten doch auf dem rund 120 km breiten Angriffsstreifen zwischen Gland und der ,,Wetterecke" neben vielen Hunderten von Minenwerfern nahezu 1700 Batterien in Wirkung treten. Wie schon bei den früheren Offensiven wurde auch dieses Mal angestrebt, die Masse der Artillerie mög-lichst weit vorne und unter Ausnutzung aller sich bietenden Flankierungsmöglichkeiten in Stellung zu bringen. Ein vorheriger Ausbau von Stellungen kam für die Batterien mit wenigen Ausnahmen natürlich nicht in Frage, es konnte sich nur darum handeln, sie einschließlich der zugehörigen Beobachtungsstellen zu erkunden und festzulegen, trigonometrisch zu vermessen und mit der erforderlichen Munition zu versehen. Bei den gewaltigen Geschoßmengen, die hierzu vorgeführt werden mußten*), war das für die Kolonnen eine schwere Aufgabe, die nur bei schärfster Anspannung gelöst werden konnte. Mit der Munitionierung wurde bei allen drei Armeen Ende Juni angefangen. Tatsächlich erwies sich aber bei der 7. Armee die rechtzeitige Durchführung als unmöglich. Am 4. Juli mußte sich daher die O.H.L. entschließen, den Angriffstag vom 10. auf den 15.7. zu verlegen.

Der Artillerieaufmarsch selbst begann am 5. Juli, er war am 13.7. beendet. Bei allen in Stellung gebrachten Batterien verblieb nur ein

*)Es waren niederzulegen:

für jede nicht bei den Aka. = Artilleriekampfgruppen) eingeteilte

Feldkanonen-Battr. (den Feldkan.- und leichten Feldhaub.-

Battn. waren größtenteils aus der Gerätereserve der O.H.L.

5. u. 6. Geschütze - ohne Bedienung und Bespannung -

zugeteilt worden) 4400 Schuß,

,, jede Feldkan.Battr. der Aka 4700 ,,

,, ,, leichte Feldhaub.Battr 3420 ,,

,, ,, schwere Feldhaub.Battr 5 ,,

,, ,, 10 cm-Battr 54 ,,

,, ,, Mörser-Battr. 725 ,,

(Die Geschoßmengen für die übrigen Kaliber (Ig. 15 cm, 17 cm usw.) waren nicht einheitlich festgesetzt.)

Artillerie- und Minenwerferaufmarsch. 35

Kommando, die Masse der Bedienung wurde zunächst in die Protzen-quartiere zurückgezogen.

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß alle diese Vorbereitungen unter peinlichster Innehaltung sämtlicher Vorsichtsmaßnahmen gegen feindliche Sicht, d. h. im wesentlichen während der zu dieser Jahreszeit recht kurzen Nächte, ausgeführt werden mußten. Selbst dann noch zwangen feindliche Flieger, die mit ihren Fallschirmraketen die Straße ableuchteten, zu größter Vorsicht, Marschunterbrechungen und zeitraubenden Umwegen. Wenn dann der frühe Morgen graute, mußten Geschütze und Munition gegen jede Luftbeobachtung des Gegners gedeckt, alle Kolonnen aus dem Gelände und von den Straßen verschwunden sein. Wegen der bei der großen Trockenheit bestehenden Gefahr etwaiger Waldbrände wurde die Anlage breiter, flacher Gräben um die Munitionsstapel herum angeordnet, die Bereitschaftsbataillone der Stellungsdivisionen hatten Löschkommandos zu bilden.

Für den Minenwerferaufmarsch lagen die Verhältnisse ähnlich. Hier begannen das Vorschaffen der Bettungen und der Munition*), das Festlegen und Einmessen der Werferstände sowie die Herstellung der M.W.Pläne ebenfalls im letzten Junidrittel; das Instellungbringen der Werfer selbst erfolgte unter größter Vorsicht beim Bau der Stände erst in den Nächten vom 10. bis 14. Juli.

Die Leitung der Artillerie- und Minenwerfer-Vorbereitung auf der gesamten Angriffsfront wurde dem Oberst Bruchmüller übertragen, der sich in gleicher bzw. ähnlicher Eigenschaft bereits bei allen vorhergegangenen Offensiven des Jahres 1918 betätigt und dabei weit-gehende Erfahrungen gesammelt hatte. Er wurde von den Obersten B a n s i und H a b i ch t sowie Oberstlt. v. Xylander, den ,,Generalen der Artillerie" bei den A.O.K.'s 7, 1 und 3, unterstützt. Den am 25.6. ausgegebenen Feuerbefehl der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz, welcher die Einzelheiten bezüglich der Feuerordnung, Feuerzeiten, Zu

*) Es war vorgesehen:

a) 25 Fl. bzw. 25 schw. bzw. 45 mittl. bzw. 150 l. Minen für jeden am Schießen teilnehmenden Werfer,

b) eine Reserve von 10% in vorderfter Stellung,

c) 150 mittl. u. 1500 1. Minen zum Beladen der Fahrzeuge der Angriffs-und Stellungsdivisionen,

d) für jede Angriffs- und Stellungsdivision ein Pauschquantum von 100 schw., 500 mittl., 600 1. Minen in den Div.Pi.Parks.

36 Die Angriffsvorbereitungen.

sammensetzung und des Tempos der Feuerwalze usw. regelte, enthält die Anlage auf S. 204. Artilleriebefehle der einzelnen A.O.K.'s ergänzten ihn hinsichtlich der Bereitstellung der Begleitbatterien, weiteren Verwendung der aus der Feuerwalze ausscheidenden Batterien usw.

Von außerordentlicher Bedeutung waren auch die Angriffsvorbereitungen der Pioniere, besonders bei der 7. Armee, deren rechter Angriffsflügel den Marneübergang auszuführen hatte. Der Übergang sollte zunächst durch Übersetzen der Sturminfanterie sowie u. U. auch der Begleitartillerie, dann über Brücken aus Pontonier-, später aus Behelfsgerät erfolgen. Es war vorgesehen, daß in jedem Divisionsabschnitt gleichzeitig zwei Infanterie-Regimenter mit je zwei Bataillonen übergesetzt wurden. Unmittelbar nach erfolgtem Eintreffen der ersten Abteilungen auf dem jenseitigen Ufer war mit dem Brückenbau zu beginnen. Je nach dessen Fortschritt sollten die Begleitbatterien entweder im Anschluß an die vier Sturmbataillone ihrer Division übergesetzt werden, oder als erste Truppe auf den fertigen Brücken übergehen. (Letzteres wurde als der Normalfall angenommen.) Den Begleitbatterien hätte der Rest der Infanterie, später die übrige Artillerie zu folgen.

Für das Übersetzen wurden für jede Division zwei Korpsbrückentrains (i. g. 26 Pontons) bereitgestellt; davon waren 24 für das eigentliche Übersetzen, 2 als Ersatz für beschädigte Pontons bestimmt. Zur Herstellung leichter Fähren, die zum Übersetzen von Meldereitern und-gängern, Verwundeten, Gefangenen usw. gedacht waren, und welche auch nach erfolgtem Brückenbau zur Entlastung der Brücken bestehen bleiben sollten, wurde das Schnellbrückengerät der Nahkampfmittel-Kolonnen herangezogen.

An Brücken wären für jeden Divisionsabschnitt im allgemeinen zwei Pontonbrücken vorgesehen, und zwar eine vier- und eine sechsbordige; die vierbordige (leichte) mußte eine Tragfähigkeit bis einschließlich schwere Feldhaubitzen, die sechsbordige (schwere) eine solche für vollbeladene Armeelastzüge (9 t) haben. Die beiden Pontonbrücken eines Divisionsabschnittes sollten aus dem Gerät von vier Divisionsbrückentrains (einschließlich der Brückentrains der Divisionen des zweiten und dritten Treffens) sowie aus einigen allmählich beim Übersetzen frei gewordenen Pontons der an den betreffenden Stellen eingesetzten Korpsbrückentrains hergestellt werden. Sie waren sobald als möglich durch leichte Behelfs- und schwere Etappenstraßenbrücken zu ersetzen, mit deren

Die Vorbereitungen für das Übersetzen und den Brückenbau

37

Bau jedoch erst nach Fertigstellung der schweren Pontonbrücken begonnen werden sollte*). Für schwere Ponton- und Straßenbrücken war grundsätzlich das vorhandene Straßennetz maßgebend.

Neben ihren beiden eigenen Pionierkompagnien konnte jede Angriffsdivision des ersten Treffens über eine besondere PionierKompagnie sowie ein geschlossenes Pionier-Bataillon der O.H.L. und über zwei Pionier-Kompagnien einer Division des zweiten oder dritten Treffens verfügen. Außerdem waren jeder Gruppe als Reserve zwei Pionier-Kompagnien einer rückwärtigen Division zugeteilt. Für den Transport des Übersetzgeräts von den Bereitstellungsplätzen zur Ablauf-linie und zum Wasser hatten die Stellungsdivisionen ausreichende Hilfs-kräfte zu stellen.

Die pioniertechnischen Vorarbeiten für den Marneübergang waren vielseitig. Es galt einmal, Bereitstellungsplätze für das Brückengerät zu erkunden und - einschließlich der zu ihnen führenden Anmarschwege- einzurichten. Diese Plätze lagen im wesentlichen in Gehölzen, Wäldern und Ortschaften, die nicht allzu weit von der Marne entfernt, aber doch nicht unmittelbar am Fluß gelegen waren. Hier mußten vor allem Deckungen gegen Fliegersicht, soweit möglich aber auch gegen feindliches Feuer geschaffen werden. An diesen Plätzen sollte der größere Teil des für das Ü b e r s e tz e n erforderlichen Materials, insbesondere der Pontons, niedergelegt werden. Das Material für den B r ü ck e n -b a u hatte nach Möglichkeit aus den Fahrzeugen der Brückentrains zu bleiben, um auf diesen gleich bis zu den Brückenstellen herangefahren zu werden. Nur in ausnahmsweise günstigen Fällen (vorhandene Sand-gruben, bewachsene Steilabfälle usw.) sollte dieses Material schon in der Nähe der Brückenstellen niedergelegt werden.

Am Flusse selbst bzw. in seiner nächsten Nähe war nur der Rest des Brücken m a t e r i a 1 s dagegen aber das ganze für das Übersetzen und den Brückenbau erforderliche G e r ä t unterzubringen. Es handelte sich dabei vor allem um das Handwerkszeug, Treidelleinen, Ketten, Ruder, Staken, Rettungsringe und -leinen, Stopfpfropfen zum Ab

*) Als späteste Zeiten der Fertigstellung waren vorgesehen:

für die vierbordigen Brücken x + 215 Minuten

,, ,, sechsbordigen Brücken x + 250 ,,

,, ,, Behelfsbrücken . . . x + 220 ,, u. 14 Std.

Bei früherer Fertigstellung sollte als Genußmittelzulage aus Kontributions-geldern eine Geldzulage von 1 bis 2 Mark je Kopf der beteiligten Kompagnien gewährt werden. (x = Beginn der Artl.Vorbereitung.)

38 Die Angrifssvorbereitungen.

dichten durchschossener Pontons und ähnliches. Insbesondere war hier auch das zur Herstellung von Laderampen (zur Verladung von Pferden und Fahrzeugen auf den Ruderfähren) erforderliche Material zu berücksichtigen.

Schließlich mußten noch die Übersetz- und Brückenstellen selbst mit den zugehörigen Anmarschwegen erkundet und genau festgelegt werden. Ihre Bezeichnung (durch Wegweiser, weiße Bänder usw.) war vorzubereiten, durfte aber erst in der Sturmnacht angebracht werden.

Die Vorarbeiten verliefen durchaus planmäßig. Am 9. Juli wurde mit der Beladung der Brückentrains, dem Vorziehen des Brücken-materials zu den Bereitschaftsplätzen und der Niederlegung des Geräts an den Übersetz- und Brückenstellen begonnen. Am 14. Juli war alles an Ort und Stelle. Von weiteren Angriffsarbeiten seien hier nur noch die Vorbereitungen für den Einbau der verschiedenen Einrichtungen für Befehlsübermittlung, Beobachtung und Aufklärung, für den Einsatz der Nachrichtenmittel, Luftstreitkräfte, Fliegerabwehr- und Arbeitsformationen erwähnt, zu denen noch die Regelung des gesamten Nachschubs, Sanitätsdienstes, Sammelns des in den Ausgangsstellungen zurückbleibenden Materials und der Munition, Bergens der Beute, Abschubs der Gefangenen u. a. m. hinzukam.

* *

*

An der Westfront der 7. Armee war die Lage nach dem Abschluß der ,,Blücher"-,,Gneisenau~-Offensive gespannt geblieben. Der Gegner entfaltete hier eine außerordentliche Regsamkeit und hielt die an diesem Abschnitt eingesetzten deutschen Divisionen ständig in Atem. Kleinere Vorstöße und Patrouillenunternehmungen wechselten mit kräftigen Schlägen, und auch an den Tagen, an denen keine Angriffe stattfanden, ließ die gesteigerte Tätigkeit der feindlichen Artillerie und Flieger die Anspannung auf deutscher Seite nicht nachlassen. Ein Brennpunkt dieser Kämpfe war das Waldgelände von Villers-Cotterêts, welches dem Gegner die gedeckte Ansammlung starker Kräfte gegen die deutschen Linien zwischen Aisne und Ourcq gestattete. Aber auch die Abschnitte zwischen Oise und Aisne sowie westlich Château-Thierry waren in dieser Zeit die Schauplätze zahlreicher feindlicher Vorstöße.

Die zwischen Oise und Marne eingesetzten deutschen Divisionen litten unter diesen Verhältnissen stark. Neben nennenswerten Gelände-verlusten hatten sie häufig auch recht bedeutende Einbußen an Ge-

Lebhafte Kampftätigkeit an der Westfront der 7. Armee.

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fangenen und blutigen Verlusten zu beklagen, so daß ihre Feldstärken in bedenklichem Umfange sanken. Es kam hinzu, daß die überall herrschende Grippeepidemie auch hier zahlreiche Ausfälle verursachte; die Nachwirkungen dieser Krankheit machten sich auch bei den wieder zur Truppe Zurückgekehrten noch längere Zeit hindurch In Form großer Müdigkeit, Abgestumpftheit und Schwäche bemerkbar. Von den deutschen Divisionen mußten unter diesen Umständen mehrere - darunter auch solche von ausgesprochen gutem Ruf und mit glänzenden Leistungen - als durchaus abgekämpft angesprochen werden, Ihre Gefechtskraft war in bedenklicher Weise gesunken.

Das Oberkommando der 7. Armee verfolgte diese Entwicklung mit großer Sorge. Die zunehmende Inanspruchnahme der bereits stark zermürbten deutschen Divisionen verlangte nach Zuführung neuer Kräfte und weitgehenden Ablösungen. Die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz bzw. die O.H.L. waren aber unter den vorliegenden Verhältnissen nicht in der Lage, entsprechenden Anträgen der 7. Armee stattzugeben. Ein Einsatz von Divisionen, die für den bevorstehenden ,,Reims"-,"Marneschutz"-Angriff bestimmt waren, mußte dessen Stoßkraft schwächen; aber auch eine Zuführung von Divisionen aus dem Bereich anderer Heeresgruppen war nicht möglich, wenn nicht die dort geplanten Operationen (,,Hagen"-Angriff!) benachteiligt oder zum mindesten verzögert werden bzw. die Abwehrkraft anderer Frontabschnitte leiden sollte. Im übrigen waren die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz und die Oberste Heeres-leitung der Überzeugung, daß das wirksamste Mittel zur Beseitigung der Spannung an der Westfront der 7. Armee eine möglichst kraftvolle Durchführung des Angriffs beiderseits Reims wäre. Die 7. Armee wurde daher darauf hingewiesen, daß sie - Im Gegensatz zu ihren Anträgen - Ihre Westfront soweit als Irgend möglich zu schwächen und alle freigewordenen Kräfte zur Stärkung des bevorstehenden Angriffs einzusetzen habe. Die Divisionen zwischen Oise und Marne sollten durch sorgfältige Gliederung Ihre Abwehrbereitschaft auf das Höchstmaß bringen. An tatsächlichen Verstärkungen wurden ihnen schließlich - auf einen neuen Antrag der 7. Armee hin - lediglich 27 Feldbatterien zugeführt.

Generaloberst v. B o e h n sah sich auf Grund dieser Entscheidung zu einer Änderung der Kampfführung an der Westfront feiner Armee gezwungen: Bis auf weiteres sollte bei erkannten Angriffsvorbereitungen des Gegners rechtzeitig ausgewichen werden. Den ,,an sich doch unvermeidlichen" Geländeverlust mußte man dabei in Kauf nehmen.

40 Die Angriffsvorbereitungen.

Auch von einem zunächst geplanten Gegenangriff zur Wiedergewinnung eines am 28. Juni verlorengegangenen Geländestreifens bei Cutry, der dem Gegner wichtige Beobachtungsstellen in die Hand gegeben hatte, wurde aus den gleichen Erwägungen heraus auf Veranlassung der Heeresgruppe bzw. Befehl der O.H.L. abgesehen.

Es war nicht ganz klar, was der Feind mit feinem unaufhörlichen Hämmern gegen die Westfront der 7. Armee beabsichtigte. Waren die Teilangriffe, die sich insbesondere gegen die deutschen Linien zwischen Aisne und Marne richteten, als planmäßige Unternehmungen zur Gewinnung einer Basis für einen späteren Großangriff anzusprechen, oder konnten sie eher als Abwehrmaßnahmen zum Entsatz des bedrohten Waldgeländes von Villers-Cotterêts und als Versuche, einen hier er-warteten neuen deutschen Angriff zu stören, gelten? Für die erstgenannte Möglichkeit sprach es, daß der Gegner offenbar bestrebt war, sich in den Besitz von Höhen zu setzen, die ihm gute Beobachtungsmöglichkeiten boten. Auf der anderen Seite aber waren die feindlichen Angriffe doch zu uneinheitlich und systemlos, um mit Bestimmtheit als Vorboten eines Großangriffs angesprochen werden zu können, selbst die Gewinnung von Beobachtungsstellen konnte ja als Maßnahme, neue d e u t s ch e Angriffsabsichten rechtzeitig zu erkennen, gedeutet werden. Auf jeden Fall aber bildeten die feindlichen Vorstöße eine außerordentlich schwere Be-drohung der sehr verwundbaren deutschen rückwärtigen Verbindungen und damit eine ernste Gefahrenquelle für den gesamten Marnebogen.

Um das Oberkommando der 7. Armee zu entlasten, dessen Befehlsbereich sich allmählich nach Osten hin stark erweitert hatte (zuletzt durch Übertritt der Gruppe Borne), wurde aus den drei Gruppen ihres rechten Flügels (Gruppen François [VII. A.K.], Staabs [XXXIX. Res.K.] und Watter [XIII. A.K.]) eine besondere Armee gebildet; am 5. Juli übernahm das A.O.K. 9 unter Gen. d. Inf. v. E b e n hier den Befehl. Seine Hauptaufgabe sollte der Schutz von Soissons und der dortigen besonders wichtigen, sehr verwundbaren und gefährdeten rückwärtigen Verbindungen sein.

Während vor der Front, an welcher der ,,Reims~-,,Marneschutz"Angriff vorbereitet wurde, im allgemeinen Ruhe herrschte, - zwischen Château-Thierry und Reims verhielt sich der Gegner sogar auffallend zurückhaltend, östlich Reims war allerdings feine Patronillentätigkeit lebhafter geworden - nahm die Spaunung im Abschnitt zwischen Oise und Marne, vor allem aber südlich der Aisne, immer mehr zu. Ihren Höhepunkt erreichte sie, als am 9. Juli bei der O.H.L. eine glaubwürdige

Gespannte Lage bei der 9. und an der Westfront der 7. Armee. 41

Agentennachricht eintraf, daß die Franzosen in den nächsten Tagen, voraussichtlich am 14.7., ihrem Nationalfeiertage, die deutschen Stellungen zwischen Aisne und Marne von Westen und Süden umfassend angreifen würden. Am 11. Juli bestätigten mehrere Überläufer, die bei der 9. und 7. Armee aufgegriffen wurden, diese Angaben; sie berichteten von starken Truppenansammlungen im Walde von Villers-Cotterêts. Beide Armeen traten daraufhin in höchste Abwehrbereitschaft, die Eingreifdivisionen wurden vorgezogen. Die deutschen Batterien nahmen an dem bedrohten Frontabschnitt die Bekämpfung der feindlichen Infanterie und Artillerie mit äußerster Kraft auf. Die Oberste Heeresleitung sah sich veranlaßt, eine Division ihrer Reserve bei Laon bereitzustellen.

Tatsächlich verliefen indessen die Tage bis zum 14. Juli einschließlich bei der 9. und an der Weftfront der 7. Armee, abgesehen von neuen Teilangriffen des Gegners, ruhig. Dagegen lebte jetzt an der Marne der Geschützkampf etwas auf, doch nahm auch hier die Gefechtstätigkeit keine größeren Formen an.

An der Angriffsfront waren inzwischen alle Vorbereitungen planmäßig verlaufen und - nach Berfchiebung des Angriffstages vom 10. auf den 15. Juli (vgl. S. 34.) - rechtzeitig zu Ende geführt worden. Am Morgen des 13. hatten sämtliche Angriffsdivisionen ihre im rückwärtigen Gebiet der Stellungsdivisionen gelegenen Aufmarschräume erreicht. In der Nacht vom 13./14. wurden planmäßig die Bereitschaftsbataillone der Stellungsdivisionen abgelöst, am 14. übernahmen die Kommandeure der Angriffsdivisionen den Befehl in ihren Abschnitten. Am Abend begann sogleich nach Eintritt der Dunkelheit das Vorrücken in die Bereitschaftsräume und die Ablösung der Kampfbataillone der bisherigen Stellungsdivisionen*).

* *

*

Waren die Aussichten für ein Gelingen des Waffengangs, zu dem sich die deutschen Divisionen bereitstellten, günstig? Konnte man insbesondere damit rechnen, daß die Geheimhaltung des beabsichtigten Angriffs gelungen war?

Das letztere schien bei der 7. Armee der Fall zu sein, nichts deutete hier darauf hin, daß der Gegner Kenntnis von den deutschen Absichten gewonnen hatte. Wenn trotzdem bei Führung und Truppe da und dort

*) Vgl. Fußnote auf S.36.

42 Die Angriffsvorbereitungen.

gewisse bange Zweifel am Gelingen des Angriffs auftauchten nnd nicht überall die unbedingte Zuversicht herrschte, wie vor früheren Offensiven, so lagen die Gründe auf anderen Gebieten. Die Zeit für Erkundungen und Vorbereitungen war reichlich kurz gewesen, man war über Stellungen und Stärken des Gegners nicht in dem Umfang unterrichtet, wie vor Angriffen, die nach monate- oder gar jahrelangem Stellungskrieg erfolqten. Insbesondere fehlte die wünschenswerte Kenntnis oder gar eine sichere Feststellung der feindlichen Artilleriestellungen. Auch für die Truppe selbst war die Ruhe- und Ausbildungszeit überaus kurz gewesen. Nicht überall hatte man den jungen Ersatz, der häufig in recht schlechter Geistesverfassung aus der Heimat gekommen war, mit dem alten, guten Bestand zu einer Einheit zusammenschweißen können. Die Kompagnieführer wußten, daß sie sich, wenn es hart auf hart ging, mit Bestimmtheit nur auf Ihre alten, bewährten Leute verlassen konnten, während ein großer Teil der Neueingetroffenen sehr bald die Zahl der ,,Abgekommenen" und Drückeberger vermehren würde.

Bei der 1. und 3. Armee hatte der Gegner während der beiden letzten Wochen seine Patrouillentätigkeit nicht unerheblich verstärkt. Waren seine Unternehmungen auch zum größeren Teil erfolglos geblieben, so hatten sie ihm doch mehrfach Gefangene eingebracht; es mußte immerhin damit gerechnet werden, daß der eine oder andere von ihnen unter dem Druck, dem die Franzosen bekanntermaßen ihre Gefangenen beim Verhör unterzogen, Angaben über beobachtete Angriffsvorbereitungen gemacht hatte. Zeitweilig waren auch durch stärkeres nächtliches Störungsfeuer die Munitionierung behindert und kleinere Brände verursacht worden. Schließlich hatte festgestellt werden können, daß der Feind die Tiefengliederung feiner Artillerie verstärkte, bei der 3. Armee waren bereits am 8. Juli hinter der 3. französischen Stellung zwölf neue Feuerftellungen angeschnitten worden; andererseits hatte sich die Zahl der vor (d. h. nördlich) der zweiten Stellung stehenden feuernden Batterien vermindert. Alle diese Tatsachen konnten aber nicht als Beweise dafür angesehen werden, daß dem Gegner der bevorstehende Angriff bekannt war. Sonst hätte er doch vor allem den deutschen Auf-marsch durch erheblich stärkeres Feuer empfindlich hindern können. Der Franzose schien vielmehr nur seine Abwehrmaßnahmen hier ebenso ver-stärkt zu haben, wie es auch an anderen Frontabschnitten festgestellt worden war. Daß er ganz allgemein mit einem neuen deutschen An-griff rechnete, war sicher, doch wußte er offenbar noch nicht, an welcher Stelle der Westfront er losbrechen würde.

Zweifel am Gelingen der Offensive 43

Trotzdem qab es auch hier bei einzelnen Führern und innerhalb der Truppe Zweifel am Gelingen der Offensive. Die allgemeinen Gründe hierfür waren bei der Truppe die gleichen wie bei der 7. Armee ausgeführt; im besonderen aber waren diese Zweifel hier durch das Gerücht veranlaßt, daß deutsche Überläufer dem Feind von dem beabsichtigten Angriff Kenntnis gebracht hätten, und daß der Gegner daraufhin seine vorderen Gräben geräumt und feine Artillerie zurückgenommen habe*). Auch bei der mittleren und oberen Führung wurde stellenweise mit solchen Möglichkeiten gerechnet. Die 1. Armee z. B. hatte sich darauf vorbereitet, mit der Bekämpfung der feindlichen Artillerie schon vor der ,,x"-Zeit zu beginnen, falls der Feind die deutschen Angriffsvorbereitungen erkannt haben und durch starkes Feuer die Bereitstellung der Infanterie zu verhindern suchen sollte. Alles in allem hielt man in diesem Zusammenhange - hierfür liegen insbesondere Stimmen von Artillerieführern der 3. Armee vor! - die von der Heeresgruppe befohlene Feuervorbereitung für unzweckmäßig. Sie war in der Hauptsache auf die Zertrümmerung der ersten feindlichen Stellung eingestellt, beim Kampf um die zweite aber blieb die Infanterie im wesentlichen allein auf die Wirkung der Feuerwalze angewiesen.

Allen diesen Zweifeln und Bedenken zum Trotz hatten indessen Führung und Truppe das Vertrauen auf den Sieg und das Zutrauen zu sich selber nicht verloren. Mochte die Arbeit dieses Mal schwerer werden als je zuvor, mochte ein durch die Erfahrungen früherer Niederlagen gewitzigter Gegner alle Mittel der Abwehr aufs höchste ausgebaut und zur Vollendung gebracht haben, der deutsche Soldat setzte ihnen den unbeugsamen Willen zum Siege entgegen. Würde das genügen, um die Waage des Schicksals diesmal endgültig zu Deutschlands Gunsten ausschlagen zu lassen?

*) Bei der 1. und 3. Armee ist in der fraglichen Zeit kein deutscher Soldat übergelaufen. Dagegen haben die Franzosen durch die Aussagen von Gefangenen, die sie am 10. Juli bei beiden Armeen gemacht haben, tatsächlich genaue Kenntnis von dem beabsichtigten Angriff gewonnen (vgl. S.48).

Die Entwicklung der Lage auf der Feindseite bis

zum 14. Juli (einschl.).

44

Nachdem gegen Ende des ersten Junihälfte die deutschen Angriffe zum Stillstand gekommen waren,

sah man im Lager der Alliierten mit höchster Spannung der nächsten Offensive des Feindes entgegen. Daß von deutscher Seite weitere Anstrengungen, den Endsieg zu erringen, unternommen werden würden, hielt man beim Oberkommando der verbündeten Armeen in Anbetracht der Gesamtlage der Mittelmächte 5ür sicher. Die Stärke des deutschen Heeres an der Westfront wurde auf insgesamt 207 Divisionen eingeschätzt von denen man 130 als eingesetzt 77 in Reserve annahm; von den letzteren wiederum wurden 31 als vollkampfkräftig, 26 als ,,neugruppiert" (frisch aufgefüllt) und 20 als abgekämpft angesehen. über die Schwierigkeiten der deutschen Ersatzlage war man auf seiten der Entente durchaus im Bilde. Es bestand kein Zweifel, daß der Ersatz rein zahlenmäßig bei weitem nicht mehr ausreichte, die entstehenden Lücken wieder aufzufüllen. Auch die zunehmende Verschlechterung der Stimmung des Er-satzes war bekannt. Alles in allem konnte es keinem Zweifel unter-liegen, daß die Zeit gegen die Deutschen arbeitete, und daß die Bedingungen, unter denen sie den Kampf führen mußten, von Tag zu Tag ungünstiger wurden. Jm Gegensatz hierzu ließ das Eintreffen der Amerikaner in Frankreich die Gefechtskraft der Alliierten ständig zu-nehmen. Auch die Ersatzlage war hier - bei den Franzosen insbesondere durch die Möglichkeit weitgehender Heranziehung farbiger Truppen -bei weitem weniger ungünstig, als auf deutscher Seite. Jedenfalls

Die Streitkräfte der Entente. 45

brauchte gerade die Zahlenfrage den Führern der Ententeheere die geringste Sorge zu machen.

General F o ch , der Oberbefehlshaber der verbündeten Armeen, verfügte um die Monatswende an der Westfront über 193 Inf.- und unberittene Kav.- sowie 10 berittene Kav.Div., von denen 132 Inf.Div. eingesetzt waren, während 61 Inf.- und 10 Kav.Div. in Reserve lagen*).

Vor Anfang Juli konnte wegen der zum Zusammenziehen von Menschen und Material erforderlichen Zeit der nächste deutsche Angriff nicht erfolgen. Am ehesten schien dann eine Offensive gegen die englische Front zu erwarten. Etwas genauer wurden die Nachrichten über die Absichten der Deutschen vom 1. Juli ab. Danach waren zwei Angriffe wahrscheinlich: gegen die Engländer in der Gegend von Lille und gegen die französische Front in der Champagne. Nach einem Befehl des Generals P é t a i n , des Oberbefehlshabers des französischen Heeres, vom 5.7. rechnete dieser mit einer deutschen Offensive zwischen der Aisne (westlich der Argonnen) und der Marne mit dem Ziel, Reims zu nehmen und die Bahn Châlons-Epernay in den Wirkungsbereich der deutschen Artillerie zu bringen. Er ordnete entsprechende Abwehrmaßnahmen und die Bildung von zwei Reservegruppen, in den Argonnen und südlich von Dormans, an, als deren Aufgabe die Stützung des angegriffenen

*) Es waren eingesetzt: Französ. Inf.Div. . . 76

Britische Inf.Div. . . 37

Amerikan. Inf.Div. . 8

Belgische Inf.Div. . 9

Italienische Inf.Div. . 2

Zus. 132

Nicht eingerechnet ist hierbei eine amerik. farbige Inf.Div., welche restlos auf mehrere französ. Inf.Div. ausgeteilt war.

In Reserve standen:

27 französ. Inf.- und 6 (beritt.) K.D.1),

20 britische Ins.- und 3 (beritt.) K.D.,

2 portugies. Inf.Div.,

9 amerikan. Inf.Div.,

3 belgische Inf.- und 1 (beritt.) K.D.

Zus. 61 Inf.- und 10 Kav.Div.

Nicht eingerechnet sind hierbei fünf noch unvollständige amerikan. Divisionen.Zwei weitere britische Divisionen waren von Mitte Juli ab aus England zu erwarten.

1) Von den 27 Inf.Div. waren 10 vollkampffähig 9 neu aufgefüllt, 9 abgekämpft

46 Die Entwickelung der Lage auf der Feindseite.

Frontabschnittes auf den Flügeln und in der Front, u. U. auch ein Gegenangriff gegen die deutschen Flanken bezeichnet wurde*). Während so die erforderlichen Abwehrmaßnahmen getroffen wurden, bereitete die französische Heeresleitung zielbewußt auch den eigenen Angriff vor. Die außerordentlich ungünstige Lage, in welcher sich nach Abschluß der am 27. Mai begonnenen Offenfive die deutschen Kräfte in dem zur Marne weit vorspringenden Stellungsbogen mit seinen sehr empfindlichen Flanken befanden, war von General Foch klar erkannt worden; ein Angriff insbesondere gegen die Westflanke dieses Bogens versprach große Erfolge. Bereits am 14. und 16. Juni hatte Foch an Pétain die erforderlichen Direktiven für eine Offensive zwischen Aisne und Ourcq erlassen. Am 16.6. war General M a n g i n zum Führer der dort eingesetzten 10. franz. Armee ernannt worden, am 18. hatte er Befehl zur Einleitung der erforderlichen Erkundungen erhalten, am 27. hatte sein Angriffsplan im allgemeinen die Billigung Pétains gefunden. In einer Besprechung am 9. Juli entschieden dieser und Foch sich für einen gleichzeitigen Angriff aller südlich der Aisne-Vesle-Linie eingesetzten Ententekräfte, um die Deutschen zur Räumung des Sacks von Château-Thierry zu zwingen.

Am 10. Juli ergab das Gesamtbild der bei der Nachrichten-Abteilung des französischen Großen Hauptquartiers eingelaufenen Nach-richten, daß der deutsche Hauptangriff in der Champagne zwischen Massiges und der Suippes in Richtung auf Châlons stattfinden würde; ein zweiter Angriff werde westlich Reims beiderseits der Marne aus dem Abschnitt Brigny-Jaulgonne erfolgen und auf Epernay gerichtet sein. Reims selber sollte nicht frontal angegriffen werden, ein Angriff zwischen der Suippes und dem Fort de la Pompelle wurde als möglich erachtet. Am 12. Juli ergaben die eingegangenen Nachrichten auch bezüglich dieses letzten Zweifels Klarheit, der Angriff östlich Reims stand mit Bestimmtheit zwischen Massiges und dem Fort Pompelle bevor.

Nunmehr gab Pétain seine Befehle für die Abwehrschlacht. Das erste Ziel war danach, den festen Zusammenhang der Front wiederherzustellen, falls den Deutschen ein Einbruch gelang; war dies erreicht, so sollte mit allen verfügbaren Kräften zum Gegenangriff geschritten werden. Gleichzeitig erhielten auch die an der eigenen Offensive beteiligten Armeen nähere Weisungen für diese Unternehmung.

*) Es wurde auch ein eigener französ. Angriff in der östlichen Champagne ins Auge gefaßt für den Fall, daß die deutsche Offensive beiderseits Reims Erfolg haben würde.

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